Fahrt ins Unbekannte

12032009

Als wir auf­ste­hen, ist es noch stock­dun­kel. Schnell packen wir die rest­li­chen Sachen in die Ruck­sä­cke wecken Juan. Immer noch fra­ge ich mich, ob er es ehr­lich mit uns meint. Aber das wer­den wir ja gleich erle­ben. Allein in der Wildnis.

Nach etwa einer Drei­vier­tel­stun­de Off­road-Stre­cke errei­chen wir eine Weg­ga­be­lung an der der Erd­weg wie­der auf eine Stra­ße mit Strom­lei­tun­gen stößt. Das ist ja schon­mal ein gutes Zei­chen. Aber sonst ist hier weit und breit nichts. Gar nichts. Und Juan hält an. Hier sol­len wir aus­stei­gen. Der Bus käme bestimmt gleich. 

Okay… Wir gucken uns an. Was sol­len wir machen, da müs­sen wir jetzt durch. Es ist ja mitt­ler­wei­le hell gewor­den und hier wer­den wir schon irgend­wie weg­kom­men – selbst wenn es kei­nen Bus gibt.

Wir schnap­pen uns also unse­re Ruck­sä­cke und sprin­gen aus dem Wagen. «Ach ja», sage ich noch zu Juan, «das Geld von der Anzah­lung, das Du uns noch schul­dest – das kannst Du behal­ten!» Er tut natür­lich so, als ob er das kom­plett ver­ges­sen habe und zeigt gro­ße Freu­de dar­über… Klar – ger­ne geschehen :-)

So – da ste­hen wir nun am Stra­ßen­rand. Wir stel­len erst­mal unse­re Ruck­sä­cke in den Staub und war­ten. Auf den Bus. Oder eine ande­re Gele­gen­heit, wei­ter zu kom­men. Ein Anhal­ter in den nächs­ten Ort wür­de es ja auch tun.

Bus­fahrt ins Unbekannte…

Aber all unse­re Über­le­gun­gen erwei­sen sich als völ­lig unbe­grün­det. Es kommt wirk­lich ein Bus! Und er hält sogar für uns an! Ich fra­ge: San Fer­nan­do? Der Fah­rer nickt. Alles klar. Wir sprin­gen samt unse­rer sper­ri­gen Ruck­sä­cke in den Bus. Mei­ne Lau­ne ist rich­tig gut. Und sie wird beim Ein­stei­gen noch bes­ser, denn aus den Boxen dröhnt lau­te und stim­mungs­vol­le Folklore. 

So gut es geht, arran­gie­ren wir uns mit den Ruck­sä­cken, denn der Bus ist ziem­lich voll. 

Bus­fah­ren im Aus­land fin­de ich ja immer span­nend. Und ich mei­ne damit noch nicht mal die gro­ßen Schlaf- und Rei­se­bus­se. Son­dern die klei­nen Bus­se im Lan­des­in­ne­ren. In denen die Men­schen zur Arbeit, zur Kir­che, zum Markt fah­ren. Dort erlebt man die Bevöl­ke­rung in ihrem Tages­ab­lauf. So wie hier. Jeden Ein­zel­nen könn­te man fra­gen, wo er hin will – und er könn­te eine Geschich­te erzählen. 

Aber irgend etwas ist in die­sem Bus komisch. Ich brau­che einen Moment um es zu deu­ten. Gutes Wet­ter, stim­mungs­vol­le Musik, süd­län­di­sche Atmo­sphä­re… Das ist es. Süd­ame­ri­ka­ni­sches Flair und gute Lau­ne sind hier über­haupt nicht zu spü­ren. Die Men­schen sit­zen alle total teil­nahms­los auf ihren Sit­zen und star­ren nach vor­ne. Kei­ner wippt zur Musik. Kei­ne lau­ten auf­ge­reg­ten Gesprä­che, wie das in Bra­si­li­en der Fall wäre. Alle gucken hier, als ob sie zu einer Beer­di­gung fah­ren. Teil­nahms­los. Sehr seltsam.

Um nach San Fer­nan­do de Apu­re zu kom­men, müs­sen wir zwi­schen­drin noch ein mal umstei­gen. Das hat­te mir der Bus­fah­rer noch beim Ein­stei­gen mit­ge­ge­ben. Aber das stellt sich als kein Pro­blem dar. Der zwei­te Bus steht schon in einem klei­nen Dorf und war­tet. Ich bin schon sehr gespannt, wie die Stim­mung dort sein wird.

Der Bus, in den wir nun umstei­gen, ist schon so voll, dass wir kei­nen Sitz­platz mehr bekom­men und uns vor­ne bei dem Fah­rer auf eine Art Abla­ge set­zen müs­sen. Das Gepäck wer­fen wir als ers­tes da drauf und dann set­zen wir uns halb auf die Rucksäcke.
Hier ist jetzt kei­ne Folk­lo­re mehr am Start, son­dern es wird eine hei­li­ge Mes­se über­tra­gen. Aller­dings zu unse­rem Leid­we­sen – und offen­bar auch dem der ande­ren Pas­sa­gie­re – in der glei­chen Laut­stär­ke wie eben noch die Musik. 

Schlag­ar­tig wir uns klar: heu­te ist Sonn­tag! Viel­leicht woll­ten die Pas­sa­gie­re des ande­ren Bus­ses ja wirk­lich alle zur Kir­che oder auf eine Beer­din­gung und waren des­we­gen so in sich gekehrt? 

Und so sit­zen wir nun in dem geram­melt vol­len Bus den ande­ren – aus­nahms­los ein­hei­mi­schen – Pas­sa­gie­ren genau Auge in Auge gegen­über. Was für eine Show. Nor­ma­ler­wei­se müss­ten die doch jetzt anfan­gen über die komi­schen Grin­gos mit ihren rie­si­gen Ruck­sä­cken zu schnat­tern. Immer­hin sit­zen wir direkt auf dem Prä­sen­tier­tel­ler – eine skur­ri­le Situa­ti­on. Aber auch hier bli­cken wir nur in teil­nahms­lo­se Gesich­ter. Ob die in Gedan­ken bei dem Pre­di­ger sind? Irgend­wie wirkt es eher nicht so. Alles in Allem ist das schon sehr, sehr skurril…

Mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln quer durch Venezuela

Nach einer Stun­de – Mes­se – kom­men wir in San Fer­nan­do de Apu­re an. Nicht wirk­lich bekehrt aber hung­rig, ver­su­chen wir am Bus­bahn­hof etwas Ess­ba­res zu bekom­men. Es gibt zwar wirk­lich viel Zeug zu kau­fen, aber irgend­wie nichts, was uns vor­schwebt. Uns wür­de ja schon ein Sack Man­da­ri­nen oder ein paar Bana­nen rei­chen, aber Pus­te­ku­chen. Kein Obst, statt­des­sen mas­sen­haft süßes, kleb­ri­ges, bun­tes Zeug. Irgend­wie unbe­frie­digt kau­fen wir einen süßen, staub­tro­cke­nen Kuchen und war­ten auf den nächs­ten Bus, der uns nach Por­to Aja­cu­cho am Orino­co brin­gen soll. Die­se Fahrt wird den rest­li­chen Tag in Anspruch neh­men, wir schät­zen so 5–6 Stunden. 

In die­sem Bus ist wie­der Musik ange­sagt. Wie­der bis zum Anschlag auf­ge­dreht. Nach ca. einer Stun­de ken­nen wir die ers­ten Stü­cke schon, da sich die­se rela­tiv häu­fig wie­der­ho­len. Club-Rota­ti­on. Nach 2 Stun­den fin­den wir das gan­ze nicht mehr stim­mungs­voll, son­dern nur noch ner­vig. Zumal die Qua­li­tät der Boxen offen­bar in umge­kehr­ten Ver­hält­nis zur jeweils in den Bus­sen gewähl­ten Laut­stär­ke steht.

Eini­ge Flüs­se sind zu queren…

Zwi­schen­drin hal­ten wir eini­ge male an. Der Fah­rer macht Stopps, um wei­te­re Pas­sa­gie­re ein­zu­sam­meln und an eini­gen Sta­tio­nen zum Aus- und Füße ver­tre­ten. Ins­ge­samt müs­sen wir 3 Flüs­se mit Fäh­ren über­que­ren. Das hat­te uns Juan auch schon erzählt. Vor einer Fäh­re stei­gen wir jeweils aus und gehen zu Fuß auf die Fäh­re. Auf bei­den Sei­ten der Flüs­se haben sich Händ­ler nie­der­ge­las­sen, die alles Mög­li­che anbie­ten. Bei einem der Stopps steigt uns der ver­füh­re­ri­sche Duft von gegrill­tem Fleisch in die Nase. Wie hung­ri­ge Hun­de schnup­pern wir und gehen dem Geruch nach, da wir seit ges­tern abend ja außer dem tro­cke­nen Kuchen nichts zu essen hatten. 

Nee, das Fleisch wol­len wir nicht…

Als wir die Quel­le des Geruchs sehen, das Fleisch über dem Feu­er, läuft uns das Was­ser im Mund zusam­men. Aber dann pas­siert es. Wir schau­en in die Hüt­te rein und da hängt das noch nicht gegrill­te Fleisch. Über und über mit Flie­gen über­seht und ohne Küh­lung bei gefühl­ten 40 Grad im Schatten. 

Ihr könnt Euch viel­leicht vor­stel­len, wie ent­täuscht sich unse­re hung­ri­gen Mägen jetzt füh­len. Aber die­ses Risi­ko kön­nen und wol­len wir nicht ein­ge­hen. Wir haben bei­de die­sen Urlaub schon unse­re Erfah­run­gen in aus­rei­chen­dem Maße gemacht.

Wei­ter geht es mit dem Bus über abso­lu­te Hol­per­stre­cken. Kei­ne Fra­ge, inter­es­sant ist die Fahrt. Die step­pen­ar­ti­ge Land­schaft ist zwar recht abwechs­lungs­los, aber es ist inter­es­sant, die Men­schen in den Bus­sen zu beob­ach­ten. Eine fröh­li­che Stim­mung kommt aller­dings auch in die­sem Bus nicht auf. Alle wir­ken irgend­wie teilnahmslos. 

Der Tag neigt sich und wir fah­ren immer noch Bus…

Drau­ßen gibt es jetzt Savan­ne und Step­pe wohin das Auge reicht. Alles ist sehr tro­cken und es ist auch sehr heiß. Gera­de im Bus. Wie gut, dass alle Fens­ter auf sind! Das Gefährt dübelt über die Schlag­lö­cher und zieht eine rie­si­ge Staub­wol­ke hin­ter sich hier. Wir haben dank der offe­nen Fens­ter einen per­ma­nen­ten Durch­zug, der zum Glück die Tem­pe­ra­tu­ren etwas relativiert.

Unge­fähr eine Stun­de vor Por­to Aya­cu­cho hält der Fah­rer einen ent­ge­gen­kom­men­den Bus per Licht­hu­pe an und bedeu­tet uns, dass wir hier umstei­gen sol­len, der Bus fah­re direkt nach Cui­dad Bolí­var. Das las­sen wir uns nicht zwei­mal sagen, schnap­pen unser Gepäck und sprin­gen raus und in den ande­ren Bus. Der Fah­rer ver­staut unse­re Ruck­sä­cke wie­der im Gepäck­fach im Rumpf des Bus­ses. Und wie­der sind wir geis­tes­ge­gen­wär­tig und neh­men unse­re Schlaf­sä­cke raus, obwohl uns tie­risch heiß ist. Aber wir wis­sen, die Nacht wer­den wir in die­sem Bus ver­brin­gen. Und ver­mut­lich wird es dann nicht mehr so warm sein. Als wir ein­ge­stie­gen sind, stel­len wir fest, dass die­ser Bus noch schä­bi­ger ist, als alle ande­ren zusam­men. Zer­fetz­te Pols­ter, klap­pern­de Fens­ter, zum Teil ohne Schei­ben und, wie wir schon nach eini­gen Metern fest­stel­len kön­nen, kei­ner­lei Federung.

Aber immer­hin sind noch zwei Sitz­plät­ze frei. Als wir es uns – so gut es irgend­wie geht – bequem gemacht haben, schau­en wir zur Ori­en­tie­rung auf unse­re Kar­te. Und in der Tat, wir haben durch die Freund­lich­keit und das Mit­den­ken des letz­ten Bus­fah­rers min­des­tens 2 Stun­den gespart! Ohne ihn hät­ten wir noch eine Stun­de nach Por­to Aya­cu­cho fah­ren müs­sen, dann wer weiß wie lan­ge auf den nächs­ten Bus nach Cui­dad Bolí­var war­ten, und dann noch­mal die eine Stun­de zurück, bevor die Stre­cke nach Cui­dad Bolí­var, auf der wir uns jetzt befin­den, begon­nen hät­te. Die­se Ein­spa­rung kommt uns natür­lich sehr gele­gen, denn auch so haben wir ins­ge­samt eine Tour von min­des­tens 24 Stun­den zu bewäl­ti­gen. Und davon haben wir der­zeit noch nicht ein­mal die Hälf­te rum.

Die Land­schaft wird jetzt abwechs­lungs­rei­cher. In der sin­ken­den Abend­son­ne und im Kon­trast zu dem hin­ter uns lie­gen­den Tag ist sie hier wirk­lich sehr schön! Lei­der wird es jetzt sehr schnell dun­kel, so dass wir davon nicht mehr lan­ge etwas mitbekommen.

Inter­ak­ti­ve Kar­te anzeigen!

Hat Dir der Artikel gefallen?

Dann melde Dich doch bitte zu meinem kostenlosen Newsletter an. Dann bekommst Du eine Nachricht bei neuen Artikeln und Du wirst auch exklusiv als erstes über neue Workshops und Reisen informiert! Außerdem gibt es dort auch immer wieder Hintergrund-Infos, die so nicht im Blog stehen.

Natürlich freue ich mich auch sehr, wenn Du mir bei YouTube, Instagram und Facebook folgst.

Alle Inhalte © Gunther Wegner

*) Mit einem Stern gekennzeichnete Links sind externe Partner-Links. Ihr unterstützt mich, wenn ihr darüber bestellt. Alternativ könnt ihr auch über folgende Direktlinks in die Shops wechseln:
Amazon.de, Amazon.at, Amazon.com, Foto Koch, Augenblicke-Eingefangen, camforpro.com.
Über meine Zusammenarbeit mit externen Partnern habe ich hier ausführlich geschrieben. Danke!

Werbung

Wir freuen uns über Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

2 Kommentare bisher


  1. Susanne_50 25. März 2009, 18:22   »

    Lie­be Reisende,

    mein Mann wird dem­nächst Vene­zue­la berei­sen – auf eige­ne Faust! Natür­lich machen wir uns Gedan­ken, denn trotz eini­ger Rei­se­er­fah­rung scheint die­ses Land nicht ganz ungefährlich.

    Wie seht Ihr das?

    Passt auf Euch auf und lasst uns wei­ter­hin teil­ha­ben an Eurer fas­zi­nie­ren­den Reise.

    • Hal­lo Susan­ne, zunaechst mal herz­li­che grues­se aus Cos­ta Rica :-) Ich kann Dei­ne Fra­ge lei­der nicht pau­schal beant­wor­ten – ich den­ke mit der noe­ti­gen Vor­sicht und dem Mei­den der Staed­te und Straen­de bei Nacht kann man sich recht sicher bewe­gen. Wir haben uns die aller­meis­te Zeit sicher gefuehlt!
      Mehr, wenn wir zurueck sind…
      Gruesse
      Gunther

Unsere Empfehlungen*

  • Astrofotografie: Spektakuläre Bilder ohne Spezialausrüstung!
  • Excire Search für Lightroom: Bilder finden statt Suchen!
  • Foto Koch
  • Lutufy.Me LUTs für Lightroom, Premiere, Davinci etc.
  • Artlist - freie Musik für eure Videos!
  • Motion Array - Vorlagen, Plugins etc. für euren Videoschnitt!
Wir nutzen diese Produkte selber, bekommen aber eine kleine Provision, wenn ihr über diese Links kauft.

Letzte Kommentare

  • Gunther: Ok, ich nehme den Artikel mal raus, hab da lange nichts mehr bestellt.... (→ weiterlesen)

  • Andreasw: Ich hatte in 2018 auch bei ZOR bestellt, war zufrieden. Ich frage mich aber was da grad los ist - ich hatte jetzt erst übers Kontaktformular angefragt, dann vor drei Werktagen per Mail, keine Reaktio... (→ weiterlesen)

  • Alois Micheler: Danke für diese Mitteilung, ich fotografiere viel abends in der Kirche (abends) - nehme da durchwegs M - 5,6 / 30 das geht soweit ganz gut - will nur keinen Blitz verwenden. Werde einmal diese Blend... (→ weiterlesen)

  • Jens Neckermann: Mir ist schleierhaft, warum ich die Focus-Moduswahl zwar auf (z.B.) Fn3 legen kann, nicht aber im Gegenzug die (schwerer zugängliche) Focus-Modustaste nicht frei mit was anderem belegen kann.... (→ weiterlesen)

  • Stefan: Hallo, ich habe auch die D7500 und nutze in dunklen Räumen auch die Zeitautomatik und ISO-Automatik. Die habe ich auf ISO 6400 begrenzt und manchmal je nach Situation die Belichtungszeit auf min 1... (→ weiterlesen)